Dr. Hans-Wolfgang Bayer
Mediale Welten - alles Papier
Pit Kinzer auf der Landesgartenschau

Das Gartenschauprogramm kennt thematische Schwerpunkte. In den zwei Wochen dieser Ausstellung heißen sie in schöner Abfolge: "Mediale Welten" und "Alles Papier".
  Ob an einen Zusammenhang der beiden Themen gedacht wurde. Ich weiß es nicht - Zunächst drängen sich mehr Gegensätze auf: Mediale Welt, das heißt IT und e-mail, internet und Bildschirmschoner. "Alles Papier" erinnert an alte Drucktechniken, an Tintenschrift und Briefumschlag.
  Doch wer einmal am Computer saß, der weiß, dass die Papierflut kein Ende nimmt. Papier bleibt fester Bestandteil medialer Vermittlung. Verknüpft man nun die neuen Möglichkeiten manipulativer Bildgestaltung mit der scheinbaren Unbestechlichkeit des Schriftlichen dann haben wir mit eingangs angeführten Themenfolge vielleicht schon einen Schlüssel in der Hand: "Was du schwarz auf weiß kannst nach Hause tragen...". Da hören wir die Kunde, aber der Glaube fehlt uns mehr und mehr.
  Der Kampf zwischen wirklicher Welt und Virtualität kann also beginnen. Ob Bildschirm oder Papier, wir müssen sehen, wo wir festen Boden behalten können und wo wir im Cyper-Space zu verglühen drohen.
   Die Frage "sind wir schon drin" braucht erst gar nicht mehr gestellt werden. Wir sind sogar schon mittendrin.
  Dies darf nicht verwundern, wenn man die Vita des ausstellenden Künstlers zu Rate zieht. Multidisziplinär ausgebildet, gelernter Schriftsetzer, studierter Architekt, arbeitet Pit Kinzer als Graphiker und ist freischaffender Künstler. Die vielfältigen Ausstellungsbeteiligungen des Künstlers in den vergangenen zwanzig Jahren sind in der Kurzbiographie erwähnt, nicht zuletzt auch die stattliche Zahl von Auszeichnungen, vor allem im Graphikbereich.
  Nicht erst seit gestern beschäftigt sich der Künstler aber auch mit "neuen Medien" von Computergrafik bis Internet. Sein bisheriges Gesamtwerk hat er auf einer CD-ROM, genannt "der interaktive Katalog" multimedial aufbereitet, am nächsten Sonntag wird in Kempten die Ausstellung "Kunstspur - römische Spur (künstlerische Recherchen zur Aktualität der Antike)", eröffnet und Pit Kinzer hat dazu das CD-ROM-Projekt "Rom ist überall - Latein im Alltag" geschaffen. Außerdem bringt er nicht nur sich selbst ins Internet, sondern auch z.B. die diesjährige Memminger Meile.
  Mediale Kunstformen gehören mittlerweile selbstverständlich zum Schaffen Pit Kinzers wie eben medial vermittelte Wahrheiten heute zu unserem Leben gehören. Ihre Messages bestimmen uns mittlerweile in vielen Lebensbereichen, sie haben für uns dieselbe Wirkungskraft, wie der tägliche Weg zur Arbeit, zur Schule oder zum Einkauf. Politische Präferenzen, Freizeitverhalten, Kaufentschlüsse, alles gründet sich auf die mediale Information, die uns überall umgibt. Und wenn wir ehrlich sind, wir haben schon lange kein Problem damit. Wir finden es normal.
  Vielleicht ist gerade die bildende Kunst innerhalb dieser sich ständig ausweitenden Verstrickung noch eine Ausnahme - gewesen. Zum wirklichen Erleben einer Ausstellung konnte doch bislang keinesfalls die Lektüre des Katalogs genügen. Ein Internetgang durch den Skulpturenpark kann uns den Gang ums Objekt nicht ersetzen. So hieß es.
Und was sehen wir hier?
  Angekündigt war das Projekt "Faxen machen". Faxrollen sind bei Kinzer nicht nur Einmal-Nachricht, sondern wiederum Stoff für die künstlerische Bearbeitung. Bereits einmal als Medium gebraucht, sind Sie nun aufs Neue Gegenstand der Kommunikation, einer künstlerischen Kommunikation. Dieser funktional-künstlerische Doppelprozess wird im Entstehen in der medialen Öffentlichkeit präsentiert, nebenan im Internetcafé, auf der Homepage von Pit Kinzer, aber natürlich auch für alle, die Zuhause einen Zugang haben. Also, wer es noch nicht weiß, jetzt kommt die Zauberformel: www.pitkinzer.de.
  Die mediale Vermittlung erlaubt das Abbilden eines Entstehungsprozesses. Künstler und Publikum können in dieser Zeit einen gemeinsamen Weg gehen. Danach werden sie sich wieder trennen. Sie können dies im Übrigen auch im Atelier des Künstlers tun. Eine zweite Zauberformel unserer Ausstellung muss also lauten: ottobeurer str.1, d-87733 markt rettenbach. Doch hier wie dort, der Ausstellungsbeginn ist nicht gleich das Ausstellungsende.
  Zunächst sehen wir Bilder von Bildern. Faxenbilder, Textbilder, auch andere Motive, eingefangen in die Konvention des Mediums Fotographie. Das heißt also, die üblichen Maße, 10 cm, 15 cm. Es gibt diese Bilder im Internet, dort herrscht eine andere Konvention, aber sie wissen ja schon, wie sie sich diese Konvention aneignen: www.pitkinzer.de.
  Also die Ausstellung einer Ausstellung in unterschiedlicher medialer Vermittlung.
  Betrachten wie die Fotos näher, erkennen wir dieselben Wände, dieselbe Bestuhlung? War es also eine Ausstellung hier in diesem Raum, die vergangen ist?
  Die erste Irritation dauert nicht lange. Unser Blick ist geübt. Wir können mediale Wirklichkeit mit wirklicher Wirklichkeit abgleichen. Es handelt sich um die Aufnahmen einer Ausstellung hier in der Remise.
  Es waren einmal Bilder hier. Es waren einmal Menschen hier. Es hängen Bilder von Pit Kinzer, wenn auch Bilder von Bilder. Aber der Knoten ist noch nicht durchschlagen. Waren die richtigen Bilder schon mal hier. Waren schon mal Menschen hier, die diese Bilder betrachten, oder welche Bilder betrachten sie wirklich?
  Ich bin mir nicht mehr sicher, ob ich schon mal hier war, mit diesen Bildern oder mit anderen. Als die Bilder da waren, waren jedenfalls auch andere hier. Aber, zusammen mit den Bildern oder etwa nacheinander? Zuerst die Bilder, dann die Menschen. Umgekehrt? Bin ich jetzt der, der der auf dem Bild war? Wer sind die Leute, die sich auf diesen Bildern Bilder anschauen, die doch für uns bestimmt waren?
  Sind wir zu spät? Die Vernissage, ja die ganze Ausstellung schon vorbei. Wir, die virtuelle Nachhut. Oder sind wir echt und die Ausstellung virtuell?
  Ein mediales Spiel mit medialen Welten. Nichts ist so, wie es scheint. Alles scheint so, wie es ist. Mediales Chaos. Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen wird zu technischen Banalität.
  Und wieder sage ich: kein Problem für sie alle. Wir kennen uns aus. Unsere Medienkompetenz steigt von Tag zu Tag. Wir wissen nur zu gut, Papier ist geduldig. Und wir wissen auch, was das heute bedeutet. Digitale Bildbearbeitung macht jede Gestalt der Wirklichkeit wirklich. Es entsteht Leben auf dem Papier, das nie am Leben war. Das mag ein urheberrechtliches, ein kriminalistisches Problem sein, für die Kunst ist es keines. Sie hat immer schon Wirklichkeit erschaffen, als wäre es ein Kinderspiel. Michelangelo, Bernini, Caspar David Friedrich. Alles Medienkünstler. Jedenfalls zeigen sie uns, wie virtuos wir mittlerweile im Zusammendenken dessen sind, was niemals zusammen gehörte.
  Alles Papier, aber doch echt. Alles echt, aber doch falsch,. Ich wünsche Ihnen viel Spaß bei diesem medialen Irrgarten. Echte Wahrheiten sind heutzutage virtuell und sonst nichts.
  Basta, aus, Ende.
  Der Computer wird jetzt heruntergefahren!.
  Sie können den Computer jetzt ausschalten!
Die Ausstellung  Die Ausstellung der Ausstellung
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