Gruftartige Atmosphäre
Gleich daneben hat Stephan Rustige, der
spiritus rector des einzartigen Projektes, jungen Talenten Platz eingeräumt, darunter ein
Kemptener, der sich schon mal einen Künstlernamen, nämlich Bela zugelegt hat. Bela setzte eigene Texte in Kontrast zu Abformen des eigenen Körpers. Was dem Kellerraum nun eine gruftartige Atmosphäre verleiht.
Derek Kremer, Ulf Spuhl, Sascha Ritter,
Christian Hof und Franz Xaver Ochsenreiter
bespielen die Räum im zweiten Obergeschoss.
Ihre Aneignungen sind weniger überzeugend,
doch allemal sehenswert. Kremer arrangiert
Müll und Fundsachen, der Kemptener Spuhl
zeigt mit seinen Farbfotos, wie Zerstörungen
skulpturale Gestalt annehmen können, Ritter
entführt mit Schwarz-Weiß-Bildern in eine
abbruchreife, verlassene Villa, deren Wände
Bände sprechen, Ochsenreiter verwandelt die
frühere Küche des Hauses in ein Labor für
Esskultur. Der Kemptener Christian Hof gestaltete einen kleinen Raum zu einem biografischen Ort um. Er wühlte in seinem Gedächtnis und brachte genau 874 Gedanken und Erinnerungen zu Papier. Mit den Kärtchen tapezierte er Wände und Decken. Eine unglaubliche Fleißarbeit, die Gefühle eines ganzen Lebens in einen Raum erstehen lassen.
Schließlich sind Videosequenzen verschiedener
Autoren zu sehen – für Rustige ein wichtiges Projekt, denn so können (Allgäuer) Video-künstler Erfahrungen sammeln mit der
Technik und der Präsentation.
Ein Stockwerk darunter schmolz bei der
Vernissage derweil Wanks Schneemann vor
sich hin und verwandelte nicht nur Teile des
Cafés in eine Dusche, sondern das Wasser bedrohte auch eine schicke Lampe und die Elektrik. Das wurde dem Wirt, der sonst alle Verrücktheiten mitmacht, zu bunt, und er verlangte von Wank, die Relikte des Winters aus dem Fenster zu schippen. Und so flogen eben Ladungen von Schnee auf den Gehsteig.

Wer am Montagabend am Kemptener „culture
squat“ vorbeiging, den hätte auch eine Ladung
Schnee treffen können. Im ersten Stock
des Künstlerhauses war Christoph Wank zu
Gange. Er hatte bei Oberstdorf letzte Reste
von Schnee aufgestöbert und nach Kempten
gekarrt, um den vielen verrückt-avantgar-distischen Projekten in dem Abbruchhaus am
Rande der Fußgängerzone ein weiteres hinzuzufügen. Der junge Künstler aus Marktoberdorf holte aber nicht nur kurzzeitig den Winter in den Raum im Obergeschoss. Er ließ zudem noch die Besucher der „Inspiration-Party“ im Café darunter (Vernissage) insofern
teilhaben, als dass er durch die Decke ein
Loch bohrte. Nun tropfte das Schmelzwasser
munter in den Eingangsbereich und konnte
nur mühsam mit Kübeln eingefangen werden.
Wank hatte damit mehrere Dinge im Sinn.
Einerseits wollte er die Oberflächenverän-derungen des Schneemanns vorführen. Andererseits schuf er eine Verbindung inner-halb des Hauses – und ging somit radikal an die Substanz des Gebäudes, das ursprünglich abgerissen werden sollte. Nun hat die Stadt dieses Vorhaben wegen eines fehlenden Investors erst mal auf Eis gelegt (wir berich-teten).

Ähnlich radikal wie Wank sprang auch Pit
Kinzer (Markt Rettenbach) mit dem Gebäude
um (wir berichteten ebenfalls). Ideenreiche
Künstler wie er eignen sich die Räume und die
Architektur an, arbeiten nicht nur in ihnen,
sondern mit ihnen, was auf jeden Fall eine
zeitgemäße künstlerische Auseinandersetzung
bedeutet. In diesem Sinne fasziniert
auch das Projekt der Sonthofenerin Gundula
Enzensberger. Sie ging in den Keller, um existenzielle Fragen aufzuwerfen. Einen Raum befüllte sie mit Schlamm. Daraus formte sie erdige Figuren, beließ es aber nicht dabei, sondern nahm davon wiederum Abformen aus
Pappmaché. Diese passte Enzensberger farblich an das an, was sie von früheren Hausnutzungen vorfand: Bilder, Plakatwände. Zugleich lotet sie den Gegensatz zwischen Erdenschwere und Leichtigkeit aus.



PitClown

Donnerstag, 3. Juni 2004, Allgäuer Zeitung,
Klaus-Peter Mayr


 

Schneemann im Künstlerhaus
„culture squat“, 2. Staffel: Die Räume werden bisweilen radikal bespielt

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