"Gerngroß
Models",
Kunstkabinett
Kunstverein
Bayreuth
Einführung
Ausstellungs-
eröffnung
von
Kristina
Köhler,
Kunstverein
Bayreuth,
4. Mai 2008
Modelle sind vereinfachende Abbildungen der Realität.
Sie extrahieren relevante Variablen und deren Zusammenhänge und stellen
diese in relationseindeutigen Abbildungen dar. Sie reduzieren die Komplexität
ohne sie zu vernichten, um Rückschlüsse vom Modell auf die Realität
möglich zu machen. Sie vereinfachen, um Zusammenhänge aufzudecken.
Modelle bringen uns die Essenz der Realität näher.
Seit nunmehr drei
Jahren beschäftigt sich der Allgäuer
Künstler Pit Kinzer mit Modellen. Besser gesagt mit Modelleisenbahnfiguren,
seinen Gerngroß Models, und deren Inszenierung in Miniaturwelten. Die
Ausstellung hier in Bayreuth zeigt die Modellwelten erstmals ausschließlich
in kleinformatigen Fotoarbeiten. Dennoch erhalten wir einen Einblick in verschiedene
Werkgruppen, unterschiedlichen Welten der Gerngroß Models,
die sich künstlerisch sowie thematisch unterscheiden.
Die Arbeiten aus
der Werkreihe Gerngroß Models sind
abstrakt inszeniert und finden im Grunde an jedem Ort der Welt statt. Es sind
vom Künstler gestellte Szenen, die ihre Aussagekraft dadurch gewinnen,
dass sie Realität und Abstraktion miteinander verschmelzen. Das Bild Der
Sprung ins Ungewisse zeigt dies deutlich: Die Makrofotografie erlaubt eine
millimetergenaue Tiefenschärfe, die den Körper des Springenden bis
zur Badehose exakt zeichnet. Die Figur fliegt gewissermaßen in einen
Unschärfebereich hinein, dessen Ende nicht absehbar ist. Es sind reduzierte
Inszenierungen, die uns Kinzer hier präsentiert, ganz im Sinne eines Modells:
Variablen werden herausgestellt, andere weggelassen oder deren Relevanz wird
durch Unschärfe reduziert. Figuren werden als Bilder eingesetzt, hinter
ihnen stehen aggregiert eine Vielzahl von gleichartigen Variablen, wie Personen,
Gefühle oder Einstellungen. Es wird Klarheit geschaffen in den Miniaturwelten,
um Realität abzubilden.
Die Gerngroß Models auf der Walz sind in
ganz konkrete Umgebungen eingebunden. Pit Kinzer hat die Figuren so arrangiert
und fotografiert, dass er sie anschließend passgenau in vorhandene Stadtlandschaften
einmontieren konnte. Die Wandergesellen sind in Deutschland, Europa und Übersee
unterwegs und besuchen Städte wie Essen, Amsterdam, Wien und Washington.
Sie zeigen uns die Welt in Form von Sehenswürdigkeiten und berühmten
Bauwerken sowie politischen, markanten, und makaberen Orten. Ein Modell für
die Welt wird geschaffen, Variablen werden (nach bestimmten Auswahlkriterien)
weggelassen und relevante thematisiert. Auch die Wandergesellen können
als Allegorie verstanden werden, als Sinnbild menschlichen Strebens nach Freiheit
und Lebenserfahrung.
Pit Kinzer erfindet seine Gerngroß Models nicht,
er findet sie und nutzt sie unverändert für seine Arrangements. In
der Werkreihe Gerngroß Models: Aktivitäten präsentieren sich
uns spärlich oder gänzlich unbekleidete Damen in lasziv anmutenden
Posen. Kaum vorstellbar, doch selbst diese Figuren werden im Handel für
Eisenbahn-Anlagen angeboten. Originär war den nackten Damen übrigens
die Rolle von Badegästen am FKK-Strand angedacht.
Die Arbeiten der Werkreihe
Gerngroß Models: Familienalbum
basieren auf den privaten Fotoalben des Künstlers und seiner Familie.
Er geht von der Realität aus. Stellt diese aber nicht nach, sondern die
Gerngroß Figuren vor die Fotografien. Die Familienbilder sind dabei nur
unscharf als Hintergrund - zur Lokalisierung der Szene - erkennbar. Sie werden
durch die Unschärfe vereinfacht. Die Modellfiguren machen sich die Urlaubsorte
zu Eigen: sie sonnen sich am Strand von Usedom, machen Spritztouren im Elsass
und besuchen das geteilte Berlin. Während Ort und Zeitpunkt real sind,
entspringen die Arrangements der Figuren sowie beigefügte Textzeilen der
Fantasie des Künstlers.
Ein letzter Gedanke: Pit Kinzer nutzt ausschließlich
vorhandene Figuren ohne sie zu verändern: Er bemalt sie nicht, schneidet
nichts ab oder fügt etwas hinzu. Und dennoch: Die Gerngroß Models
machen eine Veränderung durch, sie gewinnen an Komplexität. So treten
uns die Modelleisenbahnfiguren in Wirklichkeit weitaus weniger detaillereich
als in den Fotoarbeiten Kinzers gegenüber. Gesichtausdruck, Körperhaltung,
Gestik sowie produktionsbedingte „Eigenarten“ der Gerngroß Models
werden erst durch die Technik der Makroaufnahme deutlich sichtbar. Die Figuren
erhalten individuelle Züge. Was eine Annäherung an die Realität
bedeutet, aber eben auch eine Zunahme an Komplexität.