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Galerie im Landesamt für Vermessung und Geoinformation München
25.06.2009
Eröffnungsrede
von Heidrun Kalz








Spielzeug ist das Zeug, das man zum Spielen braucht, egal aus welchem Material, sei es aus Stein, Holz, Leder, Blech oder Plüsch. Das Zeug zum Spielen zu haben ist aber auch die Fähigkeit, die angeborene spielerische Ader, die Phantasie, Kombinationslust und Kreativität spielen zu können. Spielen fördert die Entwicklung, ist ein Lernprozess durch das Miteinander und durch Nachahmung. Spielerisches Lernen ist anerkannt am effektvollsten. Funde von zu kleinen Figuren bearbeiteten Knochen und Steinen aus Kindergräbern geben Hinweise darauf, dass es bereits in der Steinzeit eine Spielzeugkultur gab. In Ägypten etwa 200 Jahre vor Christus spielten die Kleinen mit handlichen aus Holz gefertigten Krokodilen und Löwen. Die reale Welt wurde in den zunehmenden Jahren immer perfekter ins Kleine nachgebildet, kopiert und somit imitiert. Puppen bekamen bald Gesichtszüge und wurden entsprechend der Zeit bekleidet. Junge Griechen und Römer des Altertums übten schon mal das Großsein mit Holzschwertern, die Mädels reicher Eltern mit Elfenbeinpüppchen samt Möbeln und Minigeschirr. Den Ärmeren blieben Stöckchen und Steinchen. Im Mittelalter vergrößerte sich die Kluft zwischen Arm und Reich zunehmend. Während für die Einen arbeiten und betteln ihre Lebensschule bedeutete, spielten die wohlhabenden Kleinen mit en miniature lebensnahen Spielgeräten. Regelrechte Fachbetriebe früher Spielzeugfertigung entstanden. Bereits im 18. Jahrhundert legte Friedrich Fröbel wert auf ganzheitliches spielpädagogisches Lernen. (Kindergarten > das Kind ist wie ein Pflänzchen) Mit der beginnenden Massenproduktion bekommen die Mädchen Puppenhäuser und Puppenküchen, Rollenlernen am Kleinen, die Buben ganze Heerscharen an Zinnfiguren und Dampfmaschinen, Rollenlernen am Kleinen. Märklin brachte die dampfbetriebene, später elektrifizierte Spielzeugeisenbahn auf den Markt. Wussten Sie, dass die Deutschen, vornehmlich Männer 400Mill. € für ihre Miniaturwelten ausgeben? Das erzieherisch pädagogische Anliegen dürfte allerdings nicht mehr dahinter stecken. Heute scheint die Spielzeugwelt grenzenlos zu sein, es gibt nichts in Groß was es nicht in Klein gäbe (hinreißend dazu Loriots Weihnachtsabend-Sketch). Auch scheint sie klassenlos geworden zu sein. Computerspiele kennen fast alle von 3 aufwärts. Der Preisunterschied von einem Steifftier heute (das war meine Spielwelt) zu einem anderen Stofftier ist zwar gewaltig, drücken kann man sie aber beide, beim Kauf sollte man nur auf Schadstoffe achten.

Nichts ist groß oder klein außer im Vergleich.

Jonathan Swifts Gulliver erlebt auf seinen Reisen Ängste, aber begreift auch manche Absurdität und Lächerlichkeit im Handeln gerade durch die verschiedenen Größenverhältnisse von seinem Gegenüber zu sich selber. Mal groß, mal klein und umgekehrt. Lewis Carrols Alice geht es ähnlich, ihr ständig anderes Größenverhältnis zur Situation fordert sie mächtig heraus. Slinkachu aus Devon setzt seit Jahren seine gerade mal 1 inch großen little people mitten in London aus, auf das sie gefunden werden sollen. Auf Fotos muss man sie suchen, erst als blow up, wie im gleichnamigen Film herausgezogen sozusagen, stellen sie sich dar, als wären sie aus dem richtigen Leben, big.

Nicht so bei dem hochkarätigen, mehrfach ausgezeichneten, schreibenden, malenden, fotografierenden, im Berufsverband Bildender Künstler mitwirkenden und Zeitschrift herausgebenden, sensibel aufmüpfigen, quer denkenden Künstler Pit Kinzer. Auch seine Figürchen sind ganz unprosaisch Modelleisenbahn-zubehör und nicht größer als 2cm. Jedes einzelne ist eher harmlos naiv, eben eine verkleinerte Figur der realen Welt wie eine Hausfrau, ein Kind, ein Lehrer, Handwerker, Freizeitausübende, Jäger, Tänzer, Musiker, Polizist, Nackte (!), Abbilder des täglichen Treibens eben, um nicht Wahnsinns zu sagen. Einzeln betrachtet sind sie wer sie sind und wo sie dann ihren Platz einnehmen werden, bleiben sie auch der oder die, der oder die sie sind, kleine Nachbildungen zu ihrer Situation und Umgebung passend. Aber, mit seiner spielerischen Ader schafft der Regisseur Kinzer seinen Models Raum und setzt sie in Szene, verpasst ihnen in einer Geschichte oder einem Stück eine Rolle. Herausgelockt aus ihrem Winzdasein holt er sie aus ihrer Harmlosigkeit und gibt ihnen mittels raffinierter Beleuchtung makrofotografisch Größe, eine neue Dynamik. Mal mit Liebreiz, Humor, mal böse, ernst, lächerlich, bedrohlich oder anrührend. Sein intelligent gewaltiger Sprachwitz unterstreicht dazu das entlarvend Spiegelbildhafte und er konfrontiert uns mit Abbildern unserer teils perfiden Gesellschaft.

Wenn er uns hingegen mit auf die Walz nimmt, ich komme dabei nicht umhin das Operettenliedchen…vom Rhein bis zur Pfalz inwendig weiter zu trällern, verfährt er anders. Baustellenfotos aus der ganzen Welt, von seinem Wohnort Markt Rettenbach z.B., der Dresdner Frauenkirche, dem Ground Zero, oder auch vom biblischen Babel bearbeitet er, in dem er kleine Handwerksleute, Zimmerer, am Aufbau mitarbeiten, ich möchte fast sagen mitwuseln oder gar mitgschafteln lässt. Diese Arbeiten beeindrucken mich ähnlich wie die Empire-State-Building Fotografien von Lewis Hines.

Und dann die Bilder aus dem Fotoalbum. Die Familie auf Reisen, wer kennt sie nicht. „Stell Dich doch mal hin, und lächeln“. Als Nachweis, dass man auch mal da war. Pit Kinzer lässt seine Models ganz groß und ganz wichtig dagewesen sein. Er persifliert das Erinnerungsfoto von gestern wie heute, egal ob das analoge oder das digitale. Die messerscharf witzigen Untertitelungen sind in Ihrer Boshaftigkeit zum Niederknien komisch, aber auch gerade deshalb so rührend. Er entzaubert und verzaubert zugleich, mit Humor und Melancholie.

Ich wünsche Ihnen nun eine nachdenklich-heitere Walz durch die fantastisch bestückten Gänge. Vielleicht lesen Sie auch den ausliegenden trefflichen Artikel aus der Süddeutschen Zeitung vom 29.4. Im Gespräch können Sie sich nun von dem Künstler be- oder entzaubern lassen. Ein kleiner Anhang, mein Lieblingsbild ist im Winter des Lebens. Melancholische Vorahnung? Und ein Hinweis an alle Hobbyfotografen, Nachfragen zwecklos, die Aktmodels lassen sich ausschließlich nur von Pit Kinzer ablichten.